Interreligiöser Dialog: Seelisberg Preis an Edward Kessler verliehen

SALZBURG (eds) / Der aus England stammende jüdische Theologe und Experte im interreligiösen Dialog, Edward Kessler, wurde mit dem Seelisberg Preis ausgezeichnet. Diesen bekam der inzwischen österreichische Staatsbürger am Sonntagabend mit Standing Ovation im Bildungszentrum St. Virgil Salzburg für herausragende Verdienste um den jüdisch-christlichen Dialog. Die Verleihung bildete den Auftakt der erstmals in Salzburg stattfindenden Jahrestagung des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ) mit muslimischer Beteiligung. Der vom ICCJ gemeinsam mit dem „Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen“ der Universität Salzburg ausgelobte Preis wurde heuer zum dritten Mal vergeben. Die Eröffnung stand angesichts des Gaza-Krieges im Zeichen des Wunsches nach Frieden und Dialog.
Die Eröffnungsfeier erfolgte in Anwesenheit unter anderem von Referatsbischof Manfred Scheuer, dem Salzburger Generalvikar Roland Rasser in Vertretung von Erzbischof Franz Lackner, Vertretungen der Ordensgemeinschaften wie der Benediktinerinnen des Stiftes Nonnberg und der Franziskaner, dem evangelischen Superintendenten Olivier Dantine, zudem Vertretungen der Salzburger Politik und Vertretungen aus Rumänien, den Niederlanden, den USA und Spanien.
Interreligiöse Beziehungen
Kessler, der unter anderem Gründer des auf den interreligiösen Dialog spezialisierten „Woolf Institutes“ in Cambridge ist, sei ein „führender Denker im Bereich der interreligiösen Beziehungen, vorrangig im Bereich der jüdisch-christlich-muslimischen Beziehungen“, hieß es zur Begründung auf der Website des ICCJ.
Neben seiner wissenschaftlichen und seiner Dialog-Tätigkeit engagiert sich der 1963 geborene Kessler auch sozial und politisch – so hat er 2022 eine unabhängige Kommission für die Integration von Flüchtlingen in Großbritannien gegründet. Er hat bislang zwölf Bücher mit Fokus auf den jüdisch-christlichen Dialog geschrieben und zwei Erklär-Podcasts zum Glauben und zum Heiligen Land veröffentlicht („An A-Z of Believing“ und „An A-Z of the Holy Land“).
Dialog als „Weg der Heiligkeit in einer unheiligen Welt“
Der tschechische Theologe und frühere Schüler Kesslers, Prof. Pavol Bargar, würdigte den Preisträger in seiner Laudatio als einen herausragenden Lehrer, Wissenschaftler und öffentlichen Intellektuellen. Sein Name als Suchwort ergebe online mehrere Millionen Ergebnisse. Er schlage Brücken zwischen dem universitären Leben und dem religiösen Leben sowie zur Zivilgesellschaft und den Medien. Dieser Weg des Dialogs sei kein einfacher, aber ein sich lohnender. Weder im interreligiösen Dialog noch in seiner wissenschaftlichen Forschung bleibe Kessler in einem „akademischen Elfenbeinturm“, vielmehr gehe es ihm stets darum, „Menschen zusammenzubringen, um vertrauensvolle Beziehungen, Freundschaften zu ermöglichen“, betonte er. Sein Weg des Dialogs sei einer der Freundschaft, abseits von Hierarchie und akademischen Titeln.
In seiner Dankesrede unterstrich Kessler, dass der interreligiöse Dialog im Allgemeinen und der jüdisch-christliche Dialog im Besonderen „good news“ sind sowie eine wichtige Antwort auf die Herausforderung durch die Vielfach-Krisen darstellten, die derzeit die Welt heimsuchten und zerrütteten. Den Dialog nicht abzubrechen, sondern im Gegenteil zu forcieren, sei „ein Weg, heilig zu sein angesichts einer unheiligen, von religiösem Fundamentalismus, nationalistischen Chauvinismus und politischer Demagogie beherrschten Welt“, so Kessler. Dialog bedeute, Toleranz gegenüber unterschiedlichen Sichtweisen zu üben – und damit einem „einseitigen lauten und fundamentalistischen Knurren“ in den Social Media zu widerstehen. Er nahm in seiner Rede, nicht zuletzt hinsichtlich Toleranz, wiederholt Bezug auf das Dokument „Nostra aetate“ des II. Vatikanischen Konzils, das seitens der Katholischen Kirche als Meilenstein und Basis für den Religionsdialog gilt.
Begegnung und Dialog seien Schlüssel zu einem friedvollen Zusammenleben, zeigte sich Kessler überzeugt – und er gab dazu Einblicke etwa in Dialog-Projekte zwischen Israelis und Palästinensern, durch die es selbst angesichts des Gaza-Krieges noch möglich sei, Gesprächskanäle offen zu halten. Gewiss, Dialog sei immer ein Risiko, da der Ausgang offen sei – das aber entspringe zutiefst der gläubigen Grundhaltung, dass der Mensch verletzlich sei und es den Dialog zum gegenseitigen Verstehen brauche.
Zudem erinnerte Kessler in seinen persönlich gehaltenen Dankesworten daran, dass er selbst österreichische Wurzeln hat: Seine Eltern seien in Österreich geboren worden, haben ihre Kindheit in Wien verbracht, bevor sie vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich als Juden nach Großbritannien flohen. Bis heute habe er familiäre Kontakte nach Österreich – und vor sechs Monaten hat er nun die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. „Ich kehre als Engländer zurück, bleibe aber in gewisser Weise Österreicher“, sagte Kessler am Ende seiner Rede auf Deutsch.
ICCJ-Jahrestagung
Die musikalisch von der Gruppe „KlezFive“ gestaltete Preisverleihung stellte zugleich den Auftakt zur ICCJ-Jahrestagung dar. Die Tagung, die gemeinsam mit dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich und der Universität Salzburg ausgerichtet wird, steht heuer unter dem Titel „Heiligkeit: Ein religiöser Imperativ und eine moralische Verpflichtung?“ und dauert bis 26. Juni. Eine Besonderheit stellt die muslimische Beteiligung dar.
Manfred Scheuer, Referatsbischof für Ökumene und christlich-jüdische Zusammenarbeit der katholischen Kirche in Österreich, sprach die Verbindungen in der Überzeugung, dass das „Leben heilig ist“ sowie im Gebet an: „Das Vaterunser gehört zum emotionalen Kern unseres Christseins.“ Der Vergleich mit dem Kaddisch zeige, „wie nahe dieses Herz dem Judentum ist, dem Judentum bis heute“. Bischof Scheuer wünschte „den Segen des Ewigen“ für die Tagung, „einen guten Geist der Einheit in Vielfalt, den Geist der Offenheit und Überraschung aus dem gemeinsamen Lernen. Möge die Konferenz weitere Schritte auf dem Weg setzen, den Juden und Christen, Kirchen und Synagogen seit mehreren Jahrzehnten beschreiten, um Neues zu entdecken, das die Geschichte vorher nicht oder nur in Spuren gekannt hatte. Möge Gemeinschaft wachsen, ja Freundschaft immer fester und tiefer werden, dass durch Ihr Beisammensein der Name des Ewigen geheiligt werde.“
ICCJ-Präsidentin Liliane Apotheker betonte in ihrer Begrüßung das „Privileg“, die vielen Vertreterinnen und Vertreter von Religionsgemeinschaften und Politik in Salzburg begrüßen zu können. Sie sprach, wie mehrere weitere Rednerinnen und Redner der Eröffnung, von den Herausforderungen, die das aktuelle Arbeitsjahr mit sich bringt und betonte die Relevanz von Dialog in dieser Zeit. Die diesjährige Konferenz wirft die große Frage auf, wie Menschen heilig sein können in unheiligen Zeiten, nahm die Präsidentin Bezug auf das hochaktuelle Tagungsthema.
Für Prof. Martin Jäggle, Konferenzvorsitzender und Präsident des Koordinierungsausschusses für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Österreich, bietet der Religionsdialog eine Chance, zugleich fordere er heraus. Auf die Tagungsfrage nach der Heiligkeit „gibt es keine einfache Antwort“, betonte er. Angesichts der Zäsur, die der 7. Oktober 2023 bilde, gelte es, wieder aufeinander zuzugehen. Das wünsche er sich auch für die diesjährige Tagung.
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Religionsgemeinschaft Österreichs, würdigte in einer Video-Grußbotschaft den „unschätzbaren Beitrag“ des ICCJ. Der 7. Oktober 2023 habe vor Augen geführt, dass jüdisches Leben weltweit nicht sicher ist. „Diese Konferenz bietet eine wertvolle Gelegenheit, sich auszutauschen, voneinander zu lernen und den Dialog zwischen Christinnen und Christen, Jüdinnen und Juden weiter zu vertiefen.“ Was hier stattfinde, strahle weit über diese Tagung hinaus, betonte er. Zudem würdigte er den lange dauernden Religionsdialog in Österreich.
Olivier Dantine, Superintendent der Evangelischen Kirche Salzburg-Tirol, erinnerte in seiner Begrüßung an die vor 26 Jahren verfasste Synodenerklärung „Zeit zur Umkehr“ seitens der Evangelischen Kirche in Österreich, in der die „große Schuld gegenüber Jüdinnen und Juden deutlich bekannt“ wurde. 2023 habe es bewusst ein neuerliches Bekenntnis „für ein angstfreies und sichtbares jüdisches Leben“ gegeben. Auch Dantine nahm Bezug auf das Tagungsthema: Verbindend sei dem Judentum und dem Christentum unter anderem die Hoffnung. Die Tagung nehme das Konzept der „Heiligkeit Gottes als Grund und gemeinsame ethische Verpflichtung“ auf.
Politik würdigt ICCJ
Karoline Edtstadler, Ministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, würdigte in ihren in Vertretung verlesenen Grußworten neben Salzburg als „ausgezeichneten Tagungsort im Herzen Österreichs“ auch die Bedeutung des ICCJ für die interreligiöse Verständigung. Sie erinnerte an die zehn Thesen der Konferenz im schweizerischen Seelisberg, die 1947 „einen Neubeginn des christlich-jüdischen Verhältnisses eröffnet“ haben. Zugleich hob sie hervor, dass Österreich in den vergangenen Jahren „Meilensteine im Kampf gegen Antisemitismus“ gesetzt habe – etwa die „Nationale Strategie gegen Antisemitismus“, das Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetz, die Gedenkmauer in Wien, das „Nationale Forum gegen Antisemitismus“ sowie die Ausrichtung der „European Conference on Antisemitism“ heuer im Mai in Wien. „Es ist klar: Nur gemeinsam können wir stark gegen Antisemitismus sein“, betonte Edtstadler.
Landeshauptmann Wilfried Haslauer betonte in seiner in Vertretung verlesenen Grußbotschaft, es bestehe „Bedarf an einer intensiven Zusammenarbeit“. Aus Salzburger Sicht sei nicht zu leugnen, dass die Geschichte der Shoah und die Verantwortung dafür spät offen bekannt worden sei. Zudem drückte er die Wertschätzung für die IKG Salzburg aus.
Salzburger Stadträtin Andrea Brandner würdigte in ihren Grußworten die große Bedeutung dieses Zusammenkommens. Denn es sei ein wichtiges Zeichen „gegen jede Form von Hass und Diskriminierung stellen“. Sie erinnerte an den „Brückenbauer, Verbinder, Informierer, den Wissenden“ verstorbenen IKG-Präsidenten Marco Feingold.
Unter den Referentinnen und Referenten sind heuer unter anderem die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak, die Linzer Fundamentaltheologin Prof. Isabella Guanzini, der Innsbrucker islamische Religionspädagoge Zekirija Sejdini, der Salzburger Religionswissenschaftler Prof. Martin Rötting, die Bamberger Judaistin Prof. Susanne Talabardon, die Generalsekretärin von „Religions for peace“, Prof. Azza Karam, sowie der rumänisch-orthodoxe Theologe und frühere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Ioan Sauca.
Besondere Aktualität
Der im jüdisch-christlichen Dialog stark involvierte Theologe Prof. Gregor Maria Hoff verwies gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur Kathpress auf die besondere Aktualität der Tagung: „Dass die ICCJ-Konferenz in Salzburg stattfindet, ist eine besondere Gelegenheit für uns, den jüdisch-christlichen Dialog auch öffentlichkeitswirksam zu stärken. Gerade in Zeiten eines zunehmenden Antisemitismus und zumal vor dem Hintergrund der Terrorattacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stellt sich die Aufgabe, jeden interreligiösen Gesprächsfaden aufzugreifen. Deshalb ist auch für jedes Panel der Konferenz eine muslimische Beteiligung vorgesehen.“
In einem Wechsel von Vorträgen, Plenardiskussionen, Workshops und einem kulturellen Rahmenprogramm (etwa einer Fahrt in die nahe gelegene Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl) sollen neben dem fachlichen Diskurs auch interreligiöse Netzwerke geknüpft und verstärkt werden und so der christlich-jüdische Dialog ebenso auf persönlicher Ebene weiter vertieft werden, erzählte Hoff.
(Infos: www.iccj.org)