Mariä Himmelfahrt
Liebe Schwestern und Brüder!
Es ist nicht leicht – unsere Zeit macht es uns nicht leicht – sich nicht vom Augenblick, von der gegenwärtigen Selbstverständlichkeit gefangen nehmen zu lassen. Von der Philosophie habe ich gelernt, wichtige Dinge zwei Mal zu betrachten: Als ersten vom Anfang an und zweitens vom Ende her. Dazu lege ich einen Satz von Johannes Duns Scotus, der sinngemäß lautet: „Alles Natürliche ist übernatürlich aus Anfang und aus Ende.“ Dazu ein Beispiel: Wasser aus der Quelle kann man bedenkenlos trinken. Ich würde hingegen niemandem raten, Wasser aus der Salzach in Salzburg zu trinken. Und was das Ende betrifft: Wie hören große Dinge auf? Sie können einfach abbrechen, sich davon machen, verschwinden, oder eben vollenden.
Ich darf heute auf ein berührendes Zeugnis, das unser Domkapellmeister János Czifra gegeben hat, hinweisen. Als er am Freitag sein Abschlusskonzert gegeben hatte und der Applaus nicht verklingen wollte (viele hatten auch Tränen in den Augen), da erhob er sich demütig und zeigte auf das Altarbild. Es zeigt den Auferstandenen. Als wollte er sagen: Alles ist in Ihm, dem Auferstandenen, aufgehoben. Heute, am Fest Mariä Himmelfahrt, dirigiert er zum letzten Mal den Domchor; es fügt auch das Schmerzvolle ein würdiges Ende, eine Vollendung in Gott.
Wenn wir auf das Leben und Wirken Mariens schauen, dann bemerken wir: Ihre großen Momente in der Heilsgeschichte sind vornehmlich am Anfang und am Ende. Mit ihrem „Ja“ zur Botschaft des Engels beginnt die Heilszeit, und mit ihrem Ausharren unter dem Kreuz scheint diese zu enden. Am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu steht ein wegweisendes Wort an die Apostel und auch an uns: „Was er euch sagt, das tut.“ Klaus Hemmerle (1929 – 1994), Bischof von Aachen, hat diesen Spruch weiter ausgestaltet:
Was er euch sagt, das tut!
Was er euch tut, das sagt!
Was er euch nimmt, das gebt!
Was er euch gibt, das nehmt!
Maria wurde auch etwas genommen; wir kennen die Stelle aus der Heiligen Schrift, wo es heißt, seine Mutter stand draußen und wollte mit ihm sprechen, worauf Jesus antwortete: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter (vgl. Mk 3,31 – 35).
Maria musste loslassen! Zurücktreten! Sie hat es getan und es wurde ihr gegeben. Maria steht für den guten Anfang; sie verkörpert gleichsam das Schöpfungswort: Gott sah, und es war sehr gut. In Maria wurde ein kleines Stückchen Paradies bewahrt, wohin Gott sein Wort von der Menschwerdung sprechen konnte, wo sich die Menschenfreundlichkeit Gottes am Klarsten zeigen konnte. So ein Anfang konnte nur gut ausgehen.
Wir feiern heute Mariä Himmelfahrt. Die Kirche lehrt im Sinne einer fortschreitenden Heilsgeschichte, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Liebe Brüder und Schwestern: Ihr Glaube, ihr Zeugnis ist für uns Gnade. Am Schöpfungsmorgen eines jeden von uns stehen die göttlichen Worte: Gott sah, und es war gut.
Das Leben ist eine göttliche Gabe. Darum ist es zutiefst schützenswert. Gerade in unserer Zeit, wenn in Brüssel, im EU-Parlament, wo die europäischen Werte hochgepriesen werden, zurzeit eine Diskussion im Gange ist, die Abtreibung als ein Menschenrecht einstuft. Da können wir Christen und Christinnen nicht mit.
Dem göttlich guten Anfang entspricht ein gutes Ende; mit den Worten Jesu: „Es ist vollbracht“. Die Vollendung. Es gibt aufgrund eines Spruchs des Verfassungsgerichtshofs die Möglichkeit zum assistierten Suizid. Auch da wurde eine Schwelle überschritten, mit einer Handlung, die der Lebenssubstanz im Ganzen schwer schaden wird. Denn je mehr Anfang und Ende des Lebens in die Regulierbarkeit des Menschlichen fallen, desto schwieriger wird das Leben dazwischen werden.
Wir haben aufgehört, um eine glückliche Sterbestunde, um Vollendung in Gott zu beten. Wir sollten damit wieder anfangen. Maria hat „Ja“ gesagt zu Gott – „mir geschehe, wie du gesagt hast“. Bis zum Ende, zur Vollendung. Heute feiern wir Mariä Himmelfahrt. Dieser Weg steht auch uns offen.
Maria mit dem Kinde lieb
Uns allen Deinen Segen gib!
Amen.