Tagung in Salzburg im Zeichen der Seelsorge 60 Jahre nach dem II. Vatikanum
SALZBURG (eds) / Noch bis Mittwochmittag kommen im Bildungszentrum St. Virgil Salzburg etwa 50 Menschen aus den Bereichen Pastoral, also Seelsorge und kirchliches Handeln, und Dogmatik, kirchlicher Lehre, ins Gespräch. Diese erste von zwei Tagungen steht seit Montagnachmittag unter dem Titel „Mit Gaudium et spes in die Zukunft“. Sie sind das Ergebnis eines Gesprächsprozesses zwischen Pastoral und Dogmatik im deutschsprachigen Raum. Die zweite Tagung unter dem Titel „Dogma und Pastoral in der Beziehungskrise“ ist für 10. bis 12. Februar 2025 in Stuttgart-Hohenheim geplant.
Aus zwei Gründen sei es wichtig, 60 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil über Texte wie „Gaudium et spes“ ins Gespräch zu kommen: Das betonte Michael Quisinsky, Professor für Systematische Theologie und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und Teil des Tagungsorganisationsteams, am Dienstag am Rande der Tagung gegenüber der Erzdiözese Salzburg. Erstens habe das Konzil methodisch und inhaltlich Werkzeuge an die Hand gegeben, „mit denen wir heute arbeiten können“. Zweitens, „weil viele Fragen, die wir heute bearbeiten müssen, die sind, die auf dem Konzil nicht, nicht ausreichend oder in geeigneter Form behandelt wurden. Wir haben in der Rezeption des Konzils ein großes Potenzial und wir haben gleichzeitig seit Jahrzehnten offene Fragen, die vom Konzil nicht so angegangen wurden, angegangen werden konnten.“ Deswegen seien die Fragen von heute zum großen Teil immer noch die Fragen, die das Konzil sich gestellt hat, weswegen man beides in Verbindung bringen müsse.
Für Quisinsky war das II. Vatikanische Konzil ein „Lernprozess“. Texte, die zu Beginn geschrieben wurden, wurden weiterentwickelt. In den abschließend verabschiedeten Dokumenten seien die Themen weitergedacht als zu Beginn. „Mit Abreise der Konzilsväter hat dieser Prozess erstmal aufgehört und setzte sich als Rezeption in den Diözesen vor Ort fort. Diese Entwicklungslinie muss auch heute weitergedacht werden.“ Beispielsweise sei in „Lumen gentium“ (Über die Kirche) ein Kirchenbild angelegt, das „Gaudium et spes“ ergänze. „Aber, wenn man die beiden zusammendenken würde, würden wir zum Beispiel bei der Frage nach Kirche und Welt, was heißt es, als Kirche Sakrament zu sein, wie organisieren wir Kirche mit Ämtern, würden wir da zu viel perspektivenreicheren Antworten kommen, als uns gegenwärtig möglich sind.“ Es gehe darum, für andere Menschen Segen und Sakrament zu werden, weil diese es so empfinden, nicht, weil man es selbst so festlegt.
Kirchenentwicklung
Für eine „Kirchenentwicklung zwischen Dogma und Pastoral“ spricht sich der Grazer Pastoraltheologe und Tagungsinitiator Bernd Hillebrand aus. Es lohne sich, die Zeilen der Kapitel 40-44 von „Gaudium et spes“ nochmals zu lesen, „da sie von einem Suchprozess eines wechselseitigen Dialogs gezeichnet sind. Es geht um Hilfen, wie Kirche einzelne Menschen, die Gesellschaft und die menschliche Tatkraft unterstützen kann.“ Ausgehend von „kirchlichen Rettungsversuchen“ von innen und außen sowie theologischen und strukturellen Altlasten plädiert der Professor der Karl-Franzens-Universität Graz für eine „Neudurchdringung von Dogma und Pastoral, von Gottes- und Kirchenbild“ und letztlich für eine „gastliche Kirche“, in der sich die Rolle von Gastgeberin und Gast aufheben. „Für eine Kirche zwischen bedingungsloser Dogmatik und nutzloser Pastoral braucht es beziehungsinteressierte und beziehungsstarke Menschen, die sich eine gastliche Kirche bedingungslos vorstellen können. Ich meine, dass es dafür einen Ausbildungsraum bräuchte, der wichtiger ist als viele pastoralen Leitbilder und Konzepte“, betonte er abschließend.
„Prophetisches Zukunftspotenzial“
Der Text „Gaudium et spes“ habe „prophetisches Zukunftspotenzial“: Das betonte Christoph Theobald, Professor i.R. für Systematische Theologie, Fundamentaltheologie und Dogmatik an den Facultes Loyola in Paris, in seinem Vortrag. Die Zeichen der Zeit zu lesen, habe einen „offenbarungstheologischen Sinn“. Zwischen Dogma und Pastoral öffne eine Vielfalt an Lernräumen. Theobalds Hauptthese: „Wenn wir vom ‚Zeichen der Zeit‘ reden, ist nach dem Neuen Testament der Glaube das ‚Zeichen der Zeit‘.“
Hans-Joachim Sander, Professor für Dogmatik am Fachbereich für Systematische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, stellte in seinem Vortrag fest: „Theoretische Reflexion und Praxis können nicht zusammenkommen, weil die kirchliche Praxis die Reflexion nicht wahrnimmt, um sich nicht der Relativierung auszusetzen, die diese Reflexion auslöst.“ Aber in einem entscheidenden Dokument des II. Vatikanischen Konzils, „Gaudium et spes“, finde man die Selbstrelativierung der Kirche: „Der Glaube der Kirche wird entkirchlicht. Es kommt nicht auf die Kirche an, sondern auf Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute.“ Folglich ermahne das Dokument, nicht zu vergessen, dass „Kirche für etwas da ist, was sie übersteigt“. Die kirchliche Praxis müsse an Orte gehen, wo die Menschen sind, auch so sei die Selbstrelativierung der Kirche gemeint. Er ergänzte: „Das Christentum ist eine Religion, die die eigene Religiosität überwinden muss: Es kommt nicht auf den christlichen Glauben an, sondern darauf, worauf dieser verweist und es kommt nicht auf die Kirche an, sondern auf das Reich Gottes, auf das es verweist.“ Und fügte hinzu: „Wer Zeichen der Zeit sucht, braucht Orte, wo er sie findet.“
An der Schnittstelle von Systematischer Theologie und Sozialethik referierte Ansgar Kreutzer, Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er definierte Solidarität als „mehrdimensionale Matrix der Pastoralkonstitution“ und verwies auf das „Problem der exkludierenden, also ausschließende, Solidarität“ im Sinne des Sozialethikers Matthias Möhring-Hesse. Er schloss mit einer Handlungsaufforderung an die selbstkritische kirchliche Praxis, nämlich eine „empathisch-inklusive Solidarität“ als Leitbild zu sehen und in Form einer „politisch-zivilgesellschaftlich engagierten Kirche“ umzusetzen. „Gaudium et spes“ 11 bildet für Kreutzer dabei die Basis für eine „Methode kritischer Korrelation“. Religionspädagogik und Religionsunterricht müsse als „Schule der Solidarität“ umgesetzt werden.
Zum Thema „Dogma, Pastoral und Wandel“ ging Martin Dürnberger, Assoz.Prof. für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, den Fragen nach, warum und inwiefern die Lebenswirklichkeit der Menschen signifikant für die Seelsorge ist. Er setzte einen „Lernoffenen Glauben als Topos“ voraus und zitierte Yves Congar OP (1904-1995): „Wer Zeichen der Zeit sagt, gesteht zu, daß man etwas von der Zeit selbst lernen könne.“
Fünf Themenblöcke
Die Tagung beleuchtet „Mit Gaudium et spes in die Zukunft“ in fünf Themenblöcken: Grundfragen des Aggiornamento, Methodische Entdeckungen, Beziehungen und Vernetzungen, Glauben – leben – lernen und fehlende Themen in der Konzils-Rezeption. Beim „Aggiornamento“ geht es für Prof. Michael Quisinsky wörtlich übersetzt um ein „Update“. Das heiße auch, dass der Glaube immer in einer bestimmten geschichtlichen und kontextuellen Situation gelebt und bedacht wird. Die Besonderheit von „Gaudium et spes“ sei, vor diesem Hintergrund „Dogma“, also die kirchliche Lehre, und „Pastoral“, also das kirchliche Handeln, in ein Verhältnis wechselseitiger Entgrenzung zu bringen. „Der Glaube inspiriert in konkreten Situationen, aber konkrete Situationen wirken auch wieder zurück auf den Glauben. Dieses Wechselverhältnis zieht sich durch die Geschichte der Kirche und ermöglicht es, Zukunft von Kirche und Welt zu gestalten.“
Das Konzil habe gezeigt, dass im kirchlichen Leben alles miteinander zusammenhängt: Gott und Mensch, Geist und Welt, Dogma und Pastoral, Gottesdienst und Alltag, Theorie und Praxis. Mancher Aspekt eines „Aggiornamento“ habe nach dem Konzil realisiert werden können. „Manches konnte oder wollte man aber auch noch nicht ebenso beherzt tun. Heutige Kirchenentwicklung steht besonders in der Gefahr, das Konzil nur teilweise in den Blick zu bekommen. Besonders deutlich wird dies bei der Frage, ob und wie noch oder wieder Eucharistie gefeiert werden kann. Damit zusammen hängt die Frage nach Amt und Ämtern, die für die Zukunft der Kirche entscheidend sein dürfte“, erzählte Quisinsky.
Weitere Referentinnen und Referenten brachten bei der Tagung vielfältige Perspektiven aus der Dogmatik und der Pastoral ein. Unter dem Titel „Grundfragen des Aggiornamento“ setzten das Tagungsthema in einen historischen Kontext: Daniela Blum, Professorin für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Freiburg, Dries Bosschaert, Assistenzprofessor der Forschungseinheit Kirchen- und Theologiegeschichte an der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaften der KU Leuven, sowie Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Universität Osnabrück. Herbert Haslinger, Professor für Pastoraltheologie, Homiletik und Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät Paderborn, formulierte unter dem Titel „Methodische Entdeckungen“ mit dem Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“ eine Form der Selbstermächtigung. Er hob hervor, dass beim Lesen der Konzilstexte der Mensch als Maß gelten solle. Für Mariano Delgado, Professor für Patristik und Kirchengeschichte sowie Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog an der Universität Fribourg in der Schweiz, geht es um die „Ermutigung zur mystagogischen Seelsorge aus dem Geist der Mystik“ und aus der Berufung heraus: „Jeder Mensch hat über Gott etwas zu sagen, denn jeder weiß um Gott, ohne zu wissen wie“, weshalb man auf jeden Menschen hören müsse.
Auf den Spuren Chenus
Zum Thema „Beziehungen und Vernetzungen“ mit Fokus auf die Perspektive des französischen Theologen Marie-Dominique Chenu (1895-1990) sprachen am Podium Prof. Michael Quisinsky (Karlsruhe), Prof. Christoph Theobald (Paris), Prof. Hans-Joachim Sander (Salzburg), Prof.in Margit Eckholt (Osnabrück) und Prof. Ansgar Kreutzer (Gießen). Chenu habe dafür gekämpft, dass die Zeichen der Zeit einen Ort, Raum und Platz im Konzilstext bekommen haben, hob Sander den Stellenwert für das Konzil hervor. Kreutzer würdigte die Leistung Chenus in Bezug auf die Theologie der Arbeit und stellte die Möglichkeit, ökumenisch voneinander zu lernen in den Mittelpunkt. Bei einem Gespräch zu Chenu gehe es nicht darum, ihn auf ein Podest zu stellen, sondern mit seinen Inhalten ins Gespräch zu kommen und mit aktuellen Themen in Verbindung zu bringen, so der Tenor des Podiums.
Pastorale Praxisbeispiele
Otmar Spanner und Oliver Steinringer aus der Erzdiözese Wien präsentierten Erkenntnisse aus der Umsetzung des Erfolgsprojekts „Be blessed – Maturasegen“. Hohe Bewertungen erhielt die Matura-Kerzen-Aktion bei der Umfrage zur heurigen Auflage. 2.060 Teilnehmende haben sich für die im Mai erstmals österreichweit und ökumenisch angebotene Aktion angemeldet. Das entspricht einem Anteil von etwa fünf Prozent aller Maturantinnen und Maturanten, die mit diesem Zuspruch und Gebet erreicht wurden. Das Projekt ist Teil der Dialog-Initiative für junge Erwachsene, „Denk Dich Neu“. (Infos: www.denkdichneu.at, www.beblessed.at)
Weiters stellten Judith Lehner, Referentin für Großveranstaltungen bei der Katholischen Jugend in Oberösterreich, und Magdalena Weigl, Teamleiterin Jugendpastoral bei der Katholischen Jugend Österreich, den Praxisort „72h ohne Kompromiss“, Österreichs größtes Jugend-Sozialprojekt vor. 2025 wird die alle zwei Jahre stattfindende Aktion zum 12. Mal durchgeführt. Seit Beginn im Jahr 2002 haben sich bereits 33.920 Jugendliche in 2.879 Projekten 2.442.240 Stunden, umgerechnet 275 Jahre, engagiert. (Infos: www.72h.at)
Einen Einblick, wie man Sakralräume für Kultur, häufig in Form von Licht-Klang-Performances, nutzen kann, gaben Lorena Höllrigl und Amanda Augustin vom Linzer Kulturverein „Holy Hydra“. Sie betonten: „Wir schätzen die Architektur und den Raum als solchen, auch als Kirchenraum.“ Sie hoffen auf weitere Möglichkeiten, Sakralräume einem breiteren Publikum für Kultur öffnen zu können. (Infos: www.holyhydra.at)
„Wir haben einzigartige Menschen in den Schulen Österreichs, die sehr viel mithaben“, erzählte Monika Prettenthaler von der Karl-Franzens-Universität Graz über Realitäten, Chancen und Herausforderungen im Alltag der Schulpastoral und des Religionsunterrichts.
Zwei Tagungen
Die Tagung „Mit Gaudium et spes in die Zukunft“ bringt in unterschiedlichen Perspektiven Impulse von damals und Fragen von heute in einen unmittelbaren Dialog. Auf die Präsentation konkreter Praxisorte reagieren theologische Inputs aus dem Bereich der Wissenschaft. Den Präsentationen folgen Phasen des Austausches in Gruppen. Auf diese Weise sollen neue Impulse für die Seelsorge und neue Perspektiven für die Theologie erarbeitet und „verantwortete Wege in die Zukunft“ gestaltbar werden.
In seinen Begrüßungsworten hob Bildungszentrums-Direktor Jakob Reichenberger den hohen Stellenwert des II. Vatikanischen Konzils für das Haus hervor. Es sei stark von der Entwicklung dieses Konzils geprägt, was an den Räumen zu erkennen sei. Diese seien als Dialog- und Begegnungsräume konzipiert.
Die erstmals stattfindende Tagung wird veranstaltet in einer Kooperation von St. Virgil Salzburg, dem Österreichischen Pastoralinstitut und dem Seelsorgeamt der Erzdiözese Salzburg, den Diözesen Gurk-Klagenfurt und Graz-Seckau, der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, der Caritas Steiermark.
Die zweite Tagung ist für Montag, 10. bis Mittwoch, 12. Februar 2025 im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim geplant. Diese zweite Tagung anlässlich 60 Jahre Kontexte von „Gaudium et spes“ widmet sich dem Thema „Dogma und Pastoral in der Beziehungskrise“ und der Frage, wie kirchliche Praxis und theologische Theorie ihren Dienst in der Gesellschaft gemeinsam wahrnehmen können, mit den Tagesthemen „weitergehen, weiterdenken und gemeinsam gehen“. Nähere Details werden in Kürze auf der Webseite der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart veröffentlicht. (Infos: www.akademie-rs.de)
Zum Konzilsdokument „Gaudium et spes“
Das Konzilsdokument „Über die Kirche in der Welt von heute“, ist nicht nur das umfangreichste in der Konzilsgeschichte, als „Pastorale Konstitution“ stellt „Gaudium et spes“ auch einen neuen Typus dar. Dies war mit ein Grund, dass das Dokument bei der Schlussabstimmung am 7. Dezember 1965 zwar 2.309 Ja-Stimmen erhielt, aber mit 75 die höchste Zahl an Gegenstimmen im Vergleich zu den anderen Konzilskonstitutionen. Dennoch zählt der Beginn des Dokuments zu den am häufigsten zitierten Passagen des Konzils. In ihr wird der neue Ansatz hinsichtlich des Inhalts und der Methode deutlich, wenn es heißt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (Infos: www.kathpress.at/konzil)