Tagung in Salzburg im Zeichen der Prävention „spiritueller Gewalt“
SALZBURG (eds) / Die Diözesanen Stabsstellen für Prävention von Missbrauch und Gewalt widmeten die alle zwei Jahre stattfindende, österreichweite Fachtagung dem Thema Prävention „spiritueller Gewalt“. Im Salzburger Kolpinghaus wurde am Donnerstag die Frage beleuchtet, wie eine gelungene, professionelle Seelsorge vor diesem Hintergrund aussehen kann, die auch in geistlicher Hinsicht nicht verletzt und vor Verletzungen aktiv schützt. In der „Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich – Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt“ sei dieses Thema zwar angeschnitten, aber nicht ausreichend behandelt, so der Tenor der Expertinnen und Experten. Sie orten Handlungsbedarf für das Verfassen von Definitionen und Kriterien, für Sensibilisierung, für die Verankerung im Kirchenrecht und als fixen Bestandteil in Ausbildungen sowie für die Umsetzung im Alltag.
Der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer betonte in seinen Begrüßungsworten die Brisanz des Tagungsthemas, denn „geistliche Gewalt kann alle Bereiche betreffen“. Schlagwörter bei diesem Thema seien etwa Machtmissbrauch, das Verbot von Kritik und das Zunehmen von Abhängigkeit. Wenn Seelsorge der Versuch sei, den Menschen mit Gott in Berührung zu bringen, lebe Seelsorge von der Begegnung und Zuwendung zum Menschen in der richtigen Dosis. Diese sei immer auch eine Frage von Nähe und Distanz. „Seelsorge bedeutet, die Freude an der Begegnung mit Christus zu leben und weiterzugeben.“ Es gelte, „in der Zuwendung zu den Menschen die Natürlichkeit und die Herzlichkeit“ zu behalten.
Eigenes Gewaltphänomen
Judith Könemann, Professorin am Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie an der Universität Münster, plädierte dafür, das Phänomen der spirituellen Gewalt als eine eigene Form der Gewalt zu benennen. „Missbrauch ist immer eine Form von Gewalt, findet in Vertrauensbeziehungen statt und ist immer mit Machtausübung verbunden. Das Setting ist immer durch eine asymmetrische und damit bereits in sich machtförmige Beziehungskonstellation bestimmt.“ Geistlichen Missbrauch zu bestimmen sei deshalb schwierig, weil bisher keine konkreten Kriterien festgelegt wurden – „hier besteht dringender Handlungsbedarf“, bekräftigte sie. Denn, Religion werde für ein Unrecht in Anspruch genommen. „Institutionen halten Regelsysteme bereit, welche das soziale Verhalten und Handeln von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften formen und stabilisieren, so dass Handeln absehbar und berechenbar wird. Institutionen sichern und halten damit eine bestimmte Ordnung aufrecht“, erklärte sie in ihrem Vortrag unter dem Titel „Geistlich-spiritueller Missbrauch – Kartographierung eines Phänomens am Beispiel Geistlicher Gemeinschaften“.
Geistliche Gewalt könne „zunehmend zum Verlust des eigenen Selbstgefühls, Selbstwerts und des Vertrauens in die eigene Wahrnehmung“ führen und in weiterer Folge „zum Verzicht auf eigenes Denken und Fühlen“. Betroffene seien oft „starke Persönlichkeiten, die destabilisiert werden“. Geistliche Gewalt weise einige Parallelen zur psychischen Gewalt auf, hinzu komme die Dimension der Transzendenz. Es gelte zu hinterfragen, welche Theologie und welche Interpretationen zu geistlichem Missbrauch, welche Sprache der Verkündigung und Mystik zur spirituellen Gewalt beitragen. Legitimiert werde diese oft „im Namen Gottes“ und „im Namen der Kirche“.
Bewusstseinsbildung
Könemanns Workshop unter dem Titel „Geistlich-spiritueller Missbrauch - Überlegungen zur Prävention“ setzte sich mit der Frage der Präventionsmöglichkeiten speziell für geistlichen Missbrauch auseinander und skizzierte dazu Fragen der Bewusstseinsbildung und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, auch die zu schaffenden. Dabei wurde über den Kontext der geistlichen Gemeinschaften hinausgegangen und auch die Situation in der Gemeindepastoral miteinbezogen. An Fallbeispielen wurden zudem mit den Teilnehmenden Möglichkeiten der Intervention erörtert.
Alternativen finden
Bernd Hillebrand, Professor für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, sprach sich für eine Sensibilisierung im Alltag aus, wann etwa spirituelle Gewalt geschieht, die Selbstbestimmung nicht mehr da ist und Emotion oder Mission unreflektiert bleiben. Er plädierte dafür, Alternativen für bestehende Rituale und Spiritualitätsformen zu suchen sowie in reflektierter Weise den eigenen Gefühlen zu trauen und „den Kopf nicht auszuschalten“. Er sprach zum Thema „Spiritualität als alternativloser Zwang. Alltägliche und subtile Gewaltformen“. „Es sind manchmal schon die kleinen und alltäglichen Routinen von kirchlicher Spiritualität, die als alternativloser Vollzug Zwang und Gewalt verursachen“, betonte er. Um für diese „alltäglichen und subtilen Gewaltformen“ sensibel zu sein, bedürfe es einer doppelten Reflexion. „Zum einen liegt dahinter meist ein bestimmtes Gottes- und Missionsverständnis. Es ist gut, sich dessen bewusst zu machen und deren Wirkung zu bedenken.“ Zum anderen spiele Emotionalität und deren neurologischen Hintergründe eine zentrale Rolle. Dadurch finde eine neue Verhältnisbestimmung von Kognition und Emotion statt. „Daraus ergeben sich Kriterien, die für den Umgang von spiritueller Gewalt leitend sein könnten“, erklärte er.
Asymmetrische Beziehungen
Prof. Hillebrand widmete dem Thema „Erwählung und Instruktion. Klerikale Machtkonstellationen in spirituellen Kontexten“ einen Workshop. „Erwählt zu sein oder ein entsprechendes Berufungserlebnis zu haben kann unter Druck setzen – sowohl die Personen selbst oder andere, mit denen sie in Verbindung stehen. Dadurch entstehen Asymmetrien in den Beziehungen, die verbunden mit instruktiven Systemen leicht zu spiritueller Gewalt führen können. Im Workshop werden unterschiedliche spirituelle Begriffe und verschiedene spirituelle Kontexte beleuchtet, wie sie Empfindungen und Körperhaltungen prägen. Diese Erfahrungsübungen sollen für alltägliche und subtile Gewaltformen sensibilisieren.“
Kinder- und Jugendpastoral
Generalvikar Harald Mattel befasste sich im Workshop unter dem Titel „Erstbeichte & Erstkommunion. Spirituelle Gewalt im Kontext der Kinder- und Jugendpastoral“ mit Präventionsansätzen im Rahmen einer altersgerechten, modernen Sakramentenkatechese. Es wurde ein positives Zielbild gelungener Sakramentenkatechese aufgezeigt, das kindgerecht die geistliche Selbstbestimmung fördert und jede Art von Zwang ausschließt. Ausgehend von Erkenntnissen der Resilienzforschung und psychologischer Erkenntnisse wurden dieses Zielbild und das katechetische Handeln reflektiert und Risikofaktoren spiritueller Gewalt aufgezeigt. Eine kritische Übersicht über Aspekte in der „Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich“ rundete den Workshop ab.
Heilsame Spiritualität?
Priv.-Doz. Johannes Panhofer, Privatdozent für Pastoraltheologie an der Universität Innsbruck, betonte in seinem Workshop: „Nicht alles, was fromm klingt, ist christlich, nicht jede Spiritualität ist heilsam. Tatsächlich können geistliche Lieder, Gebete und selbst Bibelzitate missbräuchlich verwendet werden und dadurch Menschen, denen Spiritualität wichtig ist, schädigen.“ Unter dem Titel „Heilsame oder toxische Spiritualität? Gefährdungen durch spirituelle Texte, Bibelzitate, Rituale, Gebete und Liedertexte“ erklärte er, Professionelle Seelsorge müsse über die Ambivalenz religiöser Botschaften und über subtile Formen der Gefährdung Bescheid wissen.
Österreichweite Fachtagung
Unter den Teilnehmenden an dieser Fachtagung waren Bischof Hermann Glettler, der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer, Generalvikare, Regenten von Priesterseminaren, Priester und Diakone, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gewaltschutzeinrichtungen wie der Stabsstellen Prävention, Ombudsstellen, Diözesane Kommissionen, Mitarbeitende in der Kinder- und Jugendpastoral, Vertreterinnen und Vertreter der Ordensgemeinschaften, der Pfarr- und Krankenhausseelsorge sowie Mitarbeitende diverser Diözesaner Einrichtungen und Ämter aus ganz Österreich.
Die alle zwei Jahre stattfindende Fachtagung wurde veranstaltet von den Diözesanen Stabsstellen für Prävention von Missbrauch und Gewalt im Auftrag der Generalvikare Österreichs. (Infos: www.ombudsstellen.at)
Hintergrundinfos zur Rahmenordnung der Bischöfe in Österreich
Die „Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich – Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt“, dritte, überarbeitete und ergänzte Ausgabe (2021), wurde in der Vollversammlung der Österreichischen Ordenskonferenz am 10. Mai 2021 und in der Sommervollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz von 14. bis 16. Juni 2021 beschlossen. Sie trat mit 1. September 2021 in Kraft und enthält folgenden, speziell zur „spirituellen Gewalt“ ausformulierten Absatz:
„Spirituelle Gewalt ist eine besondere Form von psychischer Gewalt, die im allgemeinen Sprachgebrauch „Geistiger Missbrauch“ oder „Geistlicher Missbrauch“ bezeichnet wird. Spiritueller Missbrauch wird ausgeübt, wenn mittels religiöser Inhalte oder unter Berufung auf geistliche Autorität Druck und Unfreiheit entstehen und Abhängigkeit erzeugt und ausgenutzt wird. Das Phänomen ist zwar nicht neu, aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet. So gibt es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese bei zukünftigen Auflagen der Rahmenordnung Berücksichtigung finden.“ (Infos: www.ombudsstellen.at/rahmenordnung)
Das Kolpinghaus: eine lange Tradition
Mehr als 200 junge Menschen leben zurzeit am Salzburger Standort. Zudem werden fünf Frauen mit ihren Kindern beherbergt. In der Stadt Salzburg gab es bereits in den 1880er-Jahren im Bruderhof bei St. Sebastian ein Heim. 1892 übersiedelte es in die Franz-Josef-Straße. Seit 1998 ist der Standort des Kolpinghauses Salzburg in Itzling, wo 2023 das 25-Jahr-Jubiläum gefeiert wurde. Adolph Kolping, geboren 1813 in Kerpen bei Köln als Sohn eines Schäfers, erlernte das Schusterhandwerk, studierte dann und wurde mit 31 Jahren zum Priester geweiht. Unter dem Eindruck der drohenden Verelendung der Arbeiterschaft im Zuge der Industriellen Revolution gründete er 1849 einen katholischen Gesellenverein, um den an den Rand gedrängten jungen Menschen Heimat auf Zeit und Perspektiven zur Lebensbewältigung anzubieten. Rasch verbreitete sich seine Idee in ganz Deutschland und auch in Österreich, ausgehend von Innsbruck, Salzburg, Steyr, Linz und Wien – bis hin zu einem weltweit tätigen Sozialverband. Das „Internationale Kolpingwerk“ – aktiv in mehr als 60 Ländern der Erde – umfasst heute zirka 5.000 örtliche Gruppen mit mehr als 500.000 Mitgliedern. Bekannt sind vor allem die Kolpinghäuser, in denen Lehrlinge, Schülerinnen, Schüler und Studierende Wohn- und Begegnungsmöglichkeiten finden.