Suizidbehilfe: Expertinnen warnen vor schleichendem Kulturwandel

SALZBURG (eds) / Wie kann eine Gesellschaft mit Sterben und Leid umgehen, ohne Suizid zur Option zu machen? Diese Frage stand im Zentrum einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Assistierter Suizid – Selbstbestimmtes Sterben?“ zu der das Forum Neues Leben der Erzdiözese Salzburg gestern Abend ins Foyer des Bischofshauses eingeladen hatte.
Als Gesprächspartnerinnen fungierten Susanne Kummer, Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien, und Ursula Maria Fürst, Oberärztin bei den Barmherzigen Brüdern in Salzburg, studierte Palliativmedizinerin und Medizinethikerin, über die aktuellen ethischen, medizinischen und gesellschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit der seit 2022 in Österreich möglichen Beihilfe zum Suizid.
„Selbstbestimmung braucht Beziehung“
In ihrem Eingangsstatement betonte die Philosophin und Ethikberaterin großer Institutionen Kummer, dass wahre Selbstbestimmung immer in Beziehung geschehe: „Freiheit ohne Beziehung ist eine Fiktion. Der Mensch ist ein soziales Wesen – und auch das Sterben ist keine Privatangelegenheit, sondern ein zutiefst gemeinschaftlicher Akt, der Beziehung braucht.“
Der Mensch ist ein Beziehungswesen: von der Wiege bis zur Bahre: „Autonomie ist niemals rein individuell, sondern immer relationale Autonomie. sie lebt davon, dass andere da sind.“
Kummer warnte davor, den assistierten Suizid als „normalen“ Bestandteil der Gesundheitsversorgung zu betrachten. Damit drohe eine gefährliche Verschiebung in der Wertung von Leben, Leid und Solidarität. Wo die Beihilfe zum Suizid „zum technischen Problem gemacht, für das wir nun eine administrative Lösung suchen“, beginne ein „gesellschaftliche Wandel in Haltung und Sprache.“ Dies geschehe oft leise durch Worte, Umdeutung von Begriffen, eine neue Sprache über das Leben, Sterben und das Töten.
Palliativmedizin als Antwort auf den Sterbewunsch
Ursula Fürst schilderte eindrücklich ihre Erfahrungen in der Palliativbegleitung: „Viele Menschen, die vom Leben Abschied nehmen wollen, wünschen sich in Wahrheit nicht den Tod, sondern das Ende des Schmerzes, der Einsamkeit oder der Angst.“
Die Palliativmedizin könne heute Schmerzen weitgehend lindern und Begleitung auf körperlicher, seelischer und spiritueller Ebene bieten. „Was Menschen am Lebensende brauchen, ist Zuwendung, keine Abkürzung“, so Fürst. Sie plädierte für einen Ausbau der Palliativmedizin, vor allem aber eine Schulung von jungen Ärztinnen und Ärzten im Fach Ethik: „Wir dürfen die ethische Kompetenz nicht zur subjektiven Note verkommen lassen.“ Palliative Ethik sei in jedem Fachbereich der Medizin von Nöten.
Gleichzeitig müsse sich eine Medizin, die immer mehr mit Monitoring, Aktionismus und Effizienzmachung ihres Betriebes beschäftigt ist, mit ihrem eigentlichen Auftrag konfrontierten: Heilen, begleiten und vorbereiten: „Die Frage nach dem Sterben beginnt schon viel früher im Verhältnis Patient und Arzt. Nicht erst durch die Option des assistierten Suizids“. Auch wenn Ärztinnen und Ärzte immer stärker bedrängt würde, „darf der Wunsch nach Sterben nicht zum Handlungsauftrag werden.“ Wenn Töten als Therapieoption im Raum steht, macht das etwas mit dem Gesundheitspersonal. Und auch mit den Angehörigen.
Würde bis zuletzt
Beide Referentinnen betonten die Bedeutung einer ethischen Haltung, die Leid nicht verklärt, aber das Leben bis zuletzt als schützenswert betrachtet. Die Gesellschaft aber zeigt, wie widersprüchlich ihre Prioritäten geworden sind: „Wir bauen Barrieren ab, wenn es um Selbsttötungen geht - aber wir errichten Barrieren, wenn es ums Leben geht.“
„Die Frage nach dem assistierten Suizid ist eine Frage danach, ob wir Leid noch aushalten können – oder ob wir es als Zumutung sehen“, sagte Kummer.
Fürst ergänzte: „Würde bedeutet nicht, dass jemand perfekt funktioniert. Würde bedeutet: Du bist angenommen – gerade in deiner Schwäche.“
Mit Zahl der assistierten Suizide steigt auch Zahl der Selbstmorde
„Gesetze sind ja nie nur Gesetze - sie sind Signale. Sie prägen Haltungen, sie gestalten Kultur. Und ich sehe, dass sich unsere Kultur gerade verändert,“ erklärte Kummer. Wo der Staat die Hand zum Suizid reiche, verändert sich die Kultur des Lebens.
Man wisse aus Ländern wie der Schweiz, Niederlande oder Kanada: Die Zahl der assistierten Suizide und Tötungen auf Wunsch steigen rasant - und mit ihr auch die Zahl der Suizide insgesamt. Die Hemmschwelle sinkt.
Besonders betroffen seien alte, alleinstehende Frauen über 75, so Kummer. In der Schweiz ist heute jeder zweite assistierte Suizid ein Fall über 80 Jahren.: „Das ist kein Ausdruck von Freiheit - das ist ein leiser, schleichender Kulturwandel.“ Die Philosophin weiter: „Was als Akt der Selbstbestimmung beginnt, wird zur gesellschaftlich anerkannten Option des vorzeitigen Todes -und trifft zuerst die Verletzlichen.“
Gegen eine Kultur des Wegschauens und der Tabuisierung
„Wofür wollen wir als Gesellschaft stehen?“ diese Frage trieb beide Expertinnen um. „Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Menschen in Würde sterben können - ohne das Gefühl zu haben, sie müssten den assistierten Suizid wählen, um würdevoll zu sterben,“ so Kummer. Für Fürst brauch es vor allem auch von christlichen Krankenhäusern eine klare Positionierung: „Diese Option als Angebot soll es eben dann dort nicht geben.“
Die Veranstaltung machte deutlich, dass der Diskurs um den assistierten Suizid weit über juristische Fragen hinausreicht: Er fordert eine neue Kultur des Mitgefühls, der Achtsamkeit und der Begleitung am Lebensende: „Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Denn menschliche Würde hängt nicht davon ab, wie unabhängig wir sind, sondern wie wir miteinander umgehen, wenn wir es nicht mehr sind.“