Standing Ovations für Heinrich Schmidinger

SALZBURG (plus/eds) Die Schlange derer, die Heinrich Schmidinger vor seiner Abschiedsvorlesung am Dienstag in der Großen Aula der Universität Salzburg noch einmal die Reverenz erweisen wollten, war lang. Weggefährten, Familie und Freunde hatten sich die Zeit genommen, die Vorlesung des emeritierten Rektors zu erleben. Der Radius der Anreise reichte von Rom bis London, neben Rektor Hendrik Lehnert waren auch Erzbischof Franz Lackner, Altbürgermeister Heinz Schaden sowie zahlreiche Vizerektorinnen und Vizerektoren aus den Jahren zwischen 2001 und 2019 zugegen.
„Wir sind durch Warmherzigkeit verbunden und teilen die Ansicht, dass eine Universität ein Ort der kritischen Reflexion sein sollte“, sagt Laudator Antonio Loprieno, ehemaliger Rektor der Universität Basel, die Heinrich Schmidinger vor Jahren als Benchmark für die Paris Lodron Universität genommen hatte. Beiden sei in ihrer Rolle als Rektoren wichtig gewesen, dass die Freiheit der individuellen Suche nach Wahrheit eine essentielle Aufgabe von Universitäten sein müsse.
"Kant näher bringen"
Die Freiheit stand dann auch im Mittelpunkt der Abschiedsvorlesung von Heinrich Schmidinger, der sich darüber freute, „dass noch nie so viele ZuhörerInnen bei meiner Vorlesung waren.“ Erwartungen auf einen Karriererückblick werde er nicht erfüllen, „vielmehr halte ich heute eine Lehrveranstaltung im üblichen Sinne und möchte Kant den Anwesenden näher bringen. Keinen anderen Ehrgeiz habe ich.“
Was Schmidinger über Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ transportieren wollte, überschrieb er mit einem Zitat aus dem 1788 erschienenen Werk: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.“ Vor fast 50 Jahren hatte Schmidinger an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom seine erste Seminararbeit über dieses Buch geschrieben. Sein Lehrer Francis O'Farrell hatte seinen Studierenden verboten, es zu interpretieren, erinnerte sich Schmidinger. Es sollte nur aufmerksam gelesen werden.
Das Werk gilt als philosophische Wurzel der Französischen Revolution. Umso bemerkenswerter war es, dass der Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus von Colloredo „Die Kritik der praktischen Vernunft“ zum Studium am Priesterseminar freigab. Der damalige Regens Matthäus Fingerlos unterrichtete die Schüler in Kants Moralphilosophie. Sein Werk „Wozu sind Geistliche da?“ wurde maßgeblich davon beeinflusst. Sowohl an der Benediktiner-Universität als auch im Priesterseminar lehrte damals auch Franz Michael Vierthaler, ein bedeutender Pädagoge und fundierter Kenner Kants. Der Philosoph selbst war über die Rezeption seines Werkes in Salzburg informiert und wunderte sich: „50 Jahre vor dem Erscheinen des Buches waren Tausende von Protestanten aus Salzburg vertrieben worden. 377 von ihnen ließen sich in Kants Heimatstadt Königsberg nieder. Und obwohl er damals erst acht Jahre alt gewesen ist, musste er das wahrgenommen haben“, schilderte Schmidinger. Die damalige Beschäftigung mit Kant endete, als die Zeit der Fürsterzbischöfe in Salzburg vorüber war.
Die Freiheit als Selbstbestimmung ist der zentrale Gedanke von „Kritik der praktischen Vernunft“, die jegliche Fremdbestimmung ausschließt. Ob das in der Begegnung mit anderen sowie im Umgang mit der Natur noch aufrecht zu erhalten sei, ließ Schmidinger offen und verwies mit einem Augenzwinkern auf die nächste Vorlesung. Mit den Worten „Das Buffet ist eröffnet“ nahm er die Standing Ovations des Auditoriums entgegen und verabschiedete sich von der akademischen Bühne der Universität Salzburg.
Über Heinrich Schmidinger
Heinrich Schmidinger wurde 1954 als Sohn des gleichnamigen Historikers und dessen Frau Maria Schmidinger in Wien geboren. Seine Kindheit verbrachte er bedingt durch die Professur seines Vaters im schweizerischen Freiburg und maturierte im altsprachlich-humanistischen Gymnasium in Feldkirch in Vorarlberg.
Vom Lektor zum Professor
Von 1972 bis 1980 studierte Schmidinger Theologie und Philosophie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 1984 habilitierte er sich an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck für das Fach Christliche Philosophie. Zunächst war er Assistent am Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften in Salzburg. Anschließend war der Theologe Lektor und stellvertretender Leiter des Tyrolia-Verlages in Innsbruck, bis er 1993 als Professor für Christliche Philosophie an die Theologische Fakultät der Universität Salzburg berufen wurde.
Steile Karriere
Die Uni-Karriere verlief schnell und steil: Bereits im Wintersemester 1995 wurde er Dekan und als solcher zugleich Vorsitzender der Österreichischen Dekanenkonferenz der Theologischen Fakultäten. Bereits 1999 wurde Heinrich Schmidinger Vizerektor für Ressourcen und Stellvertreter des damaligen Rektors Adolf Haslinger und ist seit 2001 Rektor der Universität Salzburg. Seit der Neugründung der Universität Salzburg 1963 ist Schmidinger der sechste Theologe in diesem Amt. Als Rektor – und davor bereits als Vizerektor – ist er seither Mitglied der Österreichischen Rektoren- bzw. Universitätenkonferenz (uniko), deren Präsident er von 2011 bis 2015 war.
Geografisch führte Schmidinger nicht nur aufgrund seiner Funktionen ein „bewegtes“ Leben, pendelte der verheiratete und dreifache Familienvater doch über Jahrzehnte zwischen der Wahlheimat Innsbruck und der Mozartstadt.
Ausgezeichnet
Darüber hinaus ist er Mitglied u.a der Görresgesellschaft, der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie (ÖGP), der bayrischen Benediktinerakademie und des Wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG).Eine besondere Verbundenheit pflegt der christliche Philosoph mit den Salzburger Hochschulwochen (SHW) – 31 Jahre war er Mitglied des Direktoriums und 12 Jahre dessen Obmann. Heinrich Schmidinger wurde 2016 mit dem großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet und ist Träger des Kardinal-Innitzer-Würdigungspreises (2017).