25 Jahre „kids-line“ Salzburg: Begleitung über eine Krisenzeit hinaus

SALZBURG (eds) / Kindern und Jugendlichen stabile Beziehungen und Bezugspersonen anzubieten, die über den Zeitraum einer Krise hinweg bestehen bleiben: Dieser Herausforderung stellen sich vier hauptamtliche und 110 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich von 13 bis 21 Uhr, erzählte „kids-line“-Leiterin Theresa Schimke der Erzdiözese Salzburg im Doppel-Gespräch mit Rita de Dominicis. Wobei Personal und Personalkosten die größte Herausforderung darstellen. Die Kinder- und Jugend-Krisenhotline der Telefonseelsorge Salzburg feiert am 12. Oktober ihr 25-jähriges Bestehen. Sie gilt heute als stabiler Teil der psychosozialen Hilfsangebote. Das große Standbein in der digitalen Beratung gilt als ihr Alleinstellungsmerkmal. Kinder- und Jugendliche sowie junge Erwachsene können sich anonym, österreichweit kostenlos telefonisch, per Chat oder E-Mail melden.
Rita de Dominicis ist Klinische Psychologin und Psychotherapeutin in Salzburg mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche sowie Supervisorin der „kids-line“-Mitarbeitenden. Sie und „kids-line“-Leiterin Theresa Schimke orten bei Kindern und Jugendlichen heute die Sehnsucht nach einer „externen geistig-geistlichen, spirituellen Führung“, nach jemandem, „der mich in meinem Leben begleitet“. Besonders bei Todesfällen, die Kinder erleben komme diese Frage. Antworten dazu werden oft als „stärkende Ressource“ erlebt. Es gehe um eine „innerliche Orientierung, die den unmittelbaren Alltag und Erfahrungshorizont übersteigt“. Es sei nicht immer das Wort Gott oder die Frage nach einer konkreten Religion, die die Kinder beschäftigt.
Anerkannte Ausbildungsstätte
Seit sechs Jahren arbeitet de Dominicis mit den Beraterinnen und Beratern der „kids-line“ zusammen. „Hier merke ich, dass vor allem auch die Kinder unterstützt werden können, die nicht in herkömmlichen Hilfseinrichtungen unterkommen. Der niederschwellige, anonyme Zugang macht es Kindern und Jugendlichen, die massivere Probleme haben, leichter anzukommen. Vor allem in Gewaltsituationen ist die Chat- und Telefonberatung eine niederschwellige und dennoch verlässliche Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche“, so ihr Resümee anlässlich des Jubiläums. An der Organisation schätzt sie die Professionalität der Arbeit. Diese zeichne sich auch dadurch aus, „dass sie vom Bundesministerium als Ausbildungsstelle für Praktika für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung unter Supervision und Psychologie anerkannt wurde und begehrt ist“.
Ein großer Vorteil liegt laut de Dominicis darin, „dass sich Kinder anonym melden können, die im niedergelassenen Beratungs- und Psychotherapiebereich aufgrund der bekannten Versorgungsschwierigkeiten nicht ankommen, keinen Platz erhalten oder von sehr schwierigen, bis toxischen Familiensystemen die Erlaubnis dazu nicht erhalten“. In Fällen von Vernachlässigung begleiten die „kids-line“-Mitarbeitenden die Kinder auch beim Einschlafen, „weil niemand da ist, der sie ins Bett bringt. Oder sie feiern mit den Kindern Weihnachten und Geburtstage. Das ist schon berührend, da das sonst in der Familie niemand tut“, erzählte sie.
„Wir stehen auf der Seite der Kinder“
Schimke ergänzte: „Wir wollen dabei einen Vertrauensraum herstellen, in dem sich die Kinder sicher fühlen. Das heißt, man stellt sich dann einfach gewisse gemeinsame Festivitäten vor: die Lieblingstorte, welche Deko es geben sollte, damit es ein schönes Fest wird, und das kann man im Chat sowie am Telefon detailreich durchbesprechen.“ Chat-Kontakte können tendenziell auch länger dauern, weil sie unter anderem die Form einer Alltagsbegleitung annehmen, wie Gute-Nacht-Rituale. „Der Bedarf entwickelt sich deutlich Richtung solcher Begleitungen. Ein wesentlicher Punkt, den ich noch sehe, ist die Gewalt in der Familie. Hier können wir unmittelbar intervenieren, denn ein Gespräch über einen Chat ist sogar im schlimmsten Fall im selben Raum mit einem Täter, einer Täterin möglich. Durch und mit uns halten die Jugendlichen einfach den hilfreichen und notwendigen Kontakt nach außen.“ Das Alleinstellungsmerkmal der „kids-line“-Mitarbeitenden ist dabei „das Herstellen von Vertrauen, das sich unter dem Prinzip der Anonymität nur mit den Kindern abspielt. Wir haben deshalb keinen Loyalitätskonflikt mit den Eltern. Wir stehen auf der Seite der Kinder.“
Corona-Krise, Ängste, Suizidalität und Einsamkeit
De Dominicis berichtete von den häufigsten Belastungen. Neben der Corona-Krise werden viele Themen von Jugendlichen selbst thematisiert: unterschiedliche Ängste, „aufgrund von aggressiven oder stark entwertenden Elternverhaltens, sehr häufig Suizidgedanken, Identitätsprobleme, familiäre Belastungen, zum Beispiel in spannungsgeladenen Patchwork-Familien, wo es unübersichtlich und verunsichernd wird, bei strittigen Scheidungsverfahren, durch die Kinder bei Besuchskontakten viel Streit und Verunsicherung erleben. Sie schildern viele für Kinder und Jugendliche belastende Erlebnisse, weil sie da sehr gefordert sind.“ Allen gemeinsam ist das Thema Einsamkeit: „Diese wird unter anderem durch den digitalen Rückzug vieler Kinder verstärkt. Hier sind es vor allem ein verringertes Selbstbewusstsein und diverse emotionale Probleme bis hin zu Selbstverletzungen. Das ständige Verweilen im Netz verändert die Art und Weise, wie man sich selbst, wie man die Umwelt wahrnimmt und einfach Idealen nacheifert, die es in der Realität nicht gibt.“
Fehlende Sicherheit und neue Perspektiven
Zusätzlich seien es psychische Erkrankungen von Eltern, die die Kinder belasten und überfordern, weil sie viel an Versorgung übernehmen müssen, schilderte de Dominicis. „Ja, es fehlt einfach die Sicherheit in den Familien. Dann ist da auch noch das Thema der Gewalt und sexualisierte Gewalt in der Familie und unter Kindern und Jugendlichen.“ Die „kids-line“-Mitarbeitenden geben Orientierung, tragen in vielen Gesprächen, die schwierigen, oft schwer aushaltbaren Situationen mit, und versuchen Trost, Hoffnung und Stärke zu vermitteln und die vorhandenen Ressourcen der Kinder aufzuspüren. „Sie sind bemüht auch Brücken zu den zuständigen Institutionen, wie Kinder- und Jugendhilfe, sowie Kinderschutzzentrum, Kinder- und Jugend-Anwaltschaft, Polizei und Kliniken zu schaffen. Sie erarbeiten mit den Kindern neue Perspektiven und bilden ein stabiles und vertrauensgebendes Kontakt-Netz für die Kids. Das Schöne ist zu sehen, dass das auch oft gelingt. Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe der kids-line“, bekräftigte sie.
Erste und längerfristige Hilfe
Die „kids-line“ entstand 1999 auf eine Anfrage der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Die Telefonseelsorge Salzburg hat mit diesem Dienst ein Angebot für Kinder geschaffen, das heute stabiler Teil des psychosozialen Hilfsangebotes ist. Bis zu 5.000 Kontaktaufnahmen deckt das Team, bestehend aus vier hauptamtlichen und 110 ehrenamtlichen Mitarbeitenden, im Monat ab. Rund 100 Kinder werden regelmäßig über die „kids-line“ beraten und konstant begleitet. Neben Entlastung und psychosozialer erster Hilfe in akuten und suizidalen Krisenzeiten ist ein Anliegen der „kids-line“, auf längere Zeit stabile Beziehungen und Bezugspersonen anzubieten, damit die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Sicherheit, Vertrauen, Selbstwirksamkeit und Stabilität erfahren, wenn diese gerade nicht vorhanden ist, und sich dadurch besser entwickeln können. (Siehe auch Pressetext vom 16. September 2024: https://eds.at/detail/kids-line-der-telefonseelsorge-salzburg-25-jahre-psychosoziale-hilfe)
Kontaktmöglichkeiten
Das Team der „kids-line ist täglich von 13 bis 21 Uhr erreichbar unter der Hotline 0800/234 123 (kostenlos und anonym aus ganz Österreich) und international kostenlos und anonym per Chat und E-Mail. (Infos: www.kids-line.at)