Evangelienkommentar 2. Adventsonntag (Mt 3, 1–12)
(rb–4.12.2022) / Der Kommentar zum heutigen Evangelium kommt von Alexandra Hogan,
Theologin und Rupertusblatt-Redakteurin.
Bei Gott gibt es kein Vitamin B
Gute Kontakte können das Leben um so vieles einfacher machen. Wer die richtigen Bekanntschaften an den richtigen Stellen hat, kommt in vielen Fällen schneller ans Ziel oder kann Unwegsamkeiten vermeiden. Ich denke, so gut wie jeder kennt solche Situationen: Bei einer Bewerbung bittet man einen guten Freund, der in der ersehnten Firma arbeitet, doch einmal ein gutes Wort beim Chef fallen zu lassen. Oder aber jemand vergisst bei diesem oder jenem Amt eine wichtige Frist – halb so schlimm, wenn ich Leute vor Ort kenne, die die Situation beeinflussen können. Schnell einmal ein Auge zudrücken, mit Vitamin B ist das alles kein Problem mehr.
Aber: Beim Herrn gibt es kein Vitamin B. Im heutigen Evangelium sagt Johannes der Täufer mit aller Deutlichkeit: Für die Israeliten reicht es nicht, von Abraham abzustammen. Es reicht nicht, in eine religiöse Elite oder in Aristokratenkreise hineingeboren worden zu sein. Trotz der besonderen Stellung als Gottesvolk müssen auch sie sich bemühen – um die richtige Herzenshaltung, die richtigen Entscheidungen, die richtigen Taten.
Gott hat keine Günstlinge. Er bevorzugt niemanden. In seinem Reich starten alle Menschen mit den gleichen Möglichkeiten. Jeder ist bei ihm willkommen, ungeachtet seiner Startbedingungen.
Johannes war mit seiner Ansicht bestimmt ein Stein des Anstoßes. Gleichzeitig muss seine Botschaft für so manchen Israeliten, so manche Israelitin ein Ansporn gewesen sein. Es braucht Mut, sich nicht mehr auf Vitamin B rauszureden. Es braucht Mut, direkt zum Chef zu gehen, sich direkt dem Herrn anzuvertrauen.
Was Johannes der Täufer hier sagt, verkündet auch Jesus selbst. Das beste Beispiel ist die Bergpredigt, in der er klar macht: Nicht denen, die die besten Startbedingungen haben, gehört das Himmelreich. Ganz im Gegenteil. Es gehört allen Männern und Frauen, die sich um Frieden, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in der Welt bemühen; allen, die nach der Wahrheit in Gott suchen und dafür auch persönliche Nachteile in Kauf nehmen.
Dieser Text ist im Rupertusblatt (Nr. 48/2022) erschienen. >>> Hier können Sie unsere Wochenzeitung abonnieren.